...es wird erzählt, dass den Tiger der französische Vorkriegsministerpräsident Herriot besucht hat. Begleitet vom Sektionschef des Außenministeriums, einem Stammgast der Bierstube Zum Tiger. Sie verschwanden Inkognito in das Gasthaus und speisten da warmen Schweinebraten vom Hals mit Brot und Senf. Herriot trinkt, zeigt gegenüber und sagt zu seinem Begleiter: „Da sitzt der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses Malypetr, aber den Herrn daneben kenne ich nicht“. Der Sektionschef antwortet: „Das ist der Anstreicher-Meister aus der Melantrich-Fabrik.“ Herriot grüßt aufs Neue und flüstert: „Aber da sitzt der Präsident des Verwaltungsgerichtes, doch den daneben kenne ich nicht.“ Auch der Begleiter wusste es nicht. Da neigt sich der Nachbar von rechts zu ihnen und informiert: „ Das ist der Ziselierer und Hersteller von Leuchtkörpern für Beerdigungen aus der Karlovka.“ – Herriot wendet sich überrascht an den Nachbarn: „Und wer sind Sie?“ Der Angesprochene hebt das Glas hoch und sagt: „Ich bin bittschön der Hausmeister von der Skořepka.“ – Da erklärt der Ministerpräsident feierlich: „Meine Herren, ein Irrtum! Demokratie ist nicht in Frankreich, sondern hier!“

...sagt der Gastwirt Karel Hulata

 

Der Tiger war im Mittelalter ein Symbol der Grausamkeit und Verkörperung des Krieges, deshalb mied das gottesfürchtige Bürgertum lange den Tiger bei der Wahl des Hauszeichens. Erst die europäische Cafè-Mode änderte dieses Tabu und es erschienen die ersten Tiger – zuerst an einem Haus in der Husova Straße, dann in der Břetislavova und dann in der Haštalská. Das Haus in der Husova Straße hatte im 15.Jahrhundert eine Hacke als Hauszeichen, in den nächsten hundert Jahren einen schwarzen Löwen und seit 1713 den goldenen Tiger.

 

Die Geschichte des Hauses in der Husova Straße Nr.17 geht bis in das 14. und 15. Jahrhundert zurück. Es war mit einem Gebäudekomplex verbunden, in dem sich heute eins der wertvollsten Baudenkmäler Prags befindet, das Palais der Herren von Kunštát und von Poděbrady.

 

Das ursprünglich bürgerliche Haus trug den Namen Zum Schwarzen Löwen, Zum … Zu Kraftas. Der gotische Grundriss mit den alten Kellerräumen wurde im Renaissance- und Barockstil umgebaut. Seit 1702 hat das Haus sein Hauszeichen, das Relief eines schreitenden Tigers. In einer Stadtbeschreibung aus dem Jahr 1816 ist eine Bierstube erwähnt, in den dreißiger Jahren war es wieder das berühmte patriotische Šoch oder Šmiler Cafè. Der Raum diente als Vorleserraum, in dem die tschechischen Erwecker europäische Zeitschriften zum Lesen bekamen. Ständige Gäste waren hier Karel Hynek Mácha, Josef Kajetán Tyl, aber auch der Historiker František Palacký, Karel Sabina, František Ladislav Čelakovský und weitere. Als das Cafè in eine Bierstube umgestaltet wurde, zapfte man hier Bier in Steingutmaßen mit schwarzer Glasur. Das Getränk wurde in tiefen Kellern aufbewahrt. Auch im zwanzigsten Jahrhundert ist der Ruhm der Bierstube Zum Goldenen Tiger nicht stillgelegt. Inkognito hat sie der französische Ministerpräsident Herriot besucht, der angeblich ein typisches Prager Gasthaus kennenlernen wollte.

 

Ihre demokratische Tradition behielt die Bierstube Zum Goldenen Tiger auch in der Nachkriegszeit. Hier saßen im freundschaftlichen Kreis (auf Bänken an der Wand und auf Stühlen an den langen Tischen) bedeutende tschechische Schauspieler und Sänger, Zdeněk Štěpánek und Václav Bednář, es erscheinen hier auch Jan Werich mit Bohuš Záhorský. Am Tisch rechts am Eingang hatte und hat seinen reservierten Platz der Klub der Intelligenz Zlatá Praha (Goldenes Prag), mit seinem breiten Mitgliedspektrum von Bildnern und Bildhauern (Bartoš, Udržal, Zavadil), über Ärzte (Prof. Dungl, Petrus), Ökonomen (Cígler, Jandera, Jurečka), bis zu Künstlern und deren Mitarbeitern (I.Mládek, Brada, Stach, Kohák, Dymák). Der lebenslängliche Präsident des Klubs war der Schriftsteller Bohumil Hrabal, der gewöhnlich am Tisch hinten, vor dem Eingang in die Küche saß.

 

In der Bierstube Zum Tiger verbrachte der Schriftsteller Hrabal, dessen Werk in 29 Sprachen übersetzt wurde, die besten Jahre seines Lebens. Es war für ihn nicht nur ein Ort, wo er Freunde traf, sondern im wahren Sinn des Wortes eine Schöpferwerkstatt. Hier traf er eine Reihe von Persönlichkeiten, insgesamt der Präsidenten Havel und Clinton. Dabei hat die Bierstube ihren ursprünglichen altertümlichen Charakter erhalten. Im Interesse des eigenartigen Prager Gastgewerbes und im Geiste der Kulturtraditionen des tschechischen Volkes sollten diese Räumlichkeiten auch weiterhin mit dem Namen des großen europa- und weltweit berühmten Schriftstellers Bohumil Hrabal verbunden bleiben. (So wie es ähnliche literarische Zentren gab bzw. gibt, wie zum Beispiel das Prager Cafe Arco, wo Kafka und Werfel weilten, die Hemingway-Bar Daiquirí in Habana, Pariser Cafès im Lateinischen Viertel usw.)

 

Die Dauerdekorierung der Bierstube Zum Goldenen Tiger, ihre bildkünstlerische und räumliche Gestaltung ist durch die Beziehung einer künstlerischen Generation zu Bohuslav Hrabal geprägt. Sie wird lange da bleiben, so wie zum Beispiel das Interieur der Brauerei U Fleků, die Malerei in Lünetten U Šuterů, U Bonaparta auf der Kleinseite und andere.